Von Lea Biškup
Anita J. macht uns eine heiße Schokolade, bevor wir mit dem Interview anfangen. In ihrer kleinen Wohnung, in der sie schon vier Jahre wohnt, machen wir es für unser Gespräch gemütlich.
Seit wann lebt deine Familie in Deutschland und aus welchem Grund ist sie nach Deutschland ausgewandert?
Meine Eltern leben seit über 40 Jahren in Deutschland. Sie konnten in ihrer Heimat keine Arbeit finden und sind dann nach Deutschland gezogen, als mein Vater ein Angebot vom Arbeitsamt bekommen hat, in Deutschland zu arbeiten.
Warum bist du nach Kroatien gekommen, obwohl deine Familie in Deutschland zurückgeblieben ist?
Ich habe nach 23 Jahren in Deutschland einfach eine Veränderung in meinem Leben gebraucht. Wahrscheinlich ging es mir dort zu gut und irgendwann wurde es langweilig.
Du hast zwei Jahre lang in Deutschland studiert. Was hast du dort studiert und warum hast du dein Studium in Deutschland abgebrochen um hier in Kroatien ein neues Studium zu beginnen?
Ja weil ich nach Kroatien gezogen bin und die Universität Heidelberg leider nicht mitnehmen konnte. Ich habe mich einfach entschlossen nach Kroatien zu ziehen und dieser Entschluss kam eben zu diesem Zeitpunkt, als ich schon angefangen hatte in Heidelberg zu studieren. In Heidelberg hatte ich Deutsch und Englisch studiert, was ich auch jetzt in Osijek studiere.
Warum hast du dich dafür entschieden, gerade in Osijek anzufangen?
Ich fand Slawonien schon immer anziehend. Die anderen Teile Kroatiens sind nichts für mich. Ich hätte vielleicht auch in einer kleineren Stadt studieren können, hatte aber Angst, dass ich es da nicht lange aushalten würde. Es sollte also eine etwas größere Stadt sein, wo man alles hat was man zum Leben braucht und da war Osijek gerade richtig.
Welche Unterschiede gibt es zwischen Deutschland und Kroatien im bezug auf das Studium?
Also ich fand das Studium in Heidelberg irgendwie schwieriger als in Osijek. Man kann sich dort den Stundenplan zwar selber zusammenstellen und hat viel mehr Freizeit als hier, aber die Kriterien sind irgendwie strenger als hier. [...] Auch habe ich bemerkt, dass die Studierenden ihr Studium eher als Pflicht empfinden und nicht wirklich daran interessiert sind. Sie machen nur das was sie müssen. [...] Hier hat man irgendwie das Gefühl in der Schule zu sein, während man in Deutschland wirklich das Gefühl hat zu studieren.
Was gefällt dir am meisten an Kroatien und was an Deutschland, und warum?
Die Menschen in Kroatien sind viel offener als die Deutschen. Hier ist es viel einfacher Freundschaften zu schließen. Mir ist es z. B. schon oft passiert, dass Menschen die mit mir im Zugabteil saßen, einfach angefangen haben mit mir zu sprechen und ich auf diese Weise neue Freunde gewonnen habe. In Deutschland habe ich das noch nie erlebt. Wenn mich dort so einfach jemand angesprochen hätte, hätte ich gedacht, dass mit diesem Menschen irgendetwas nicht stimmt. Die Menschen in Kroatien sind auch nicht so sehr im Stress und Freunde haben immer Zeit füreinander. Mir fehlt hier aber die Deutsche Ordnung. Dort ist alles gut geregelt und alles sieht schön aus. Wir „normalen“ Menschen haben dort auch unsere Rechte und es geht uns gut dort. Die Menschen werden für ihre Arbeit gerecht bezahlt und ihre Arbeit und Mühe wird geschätzt. In Kroatien herrscht reinstes Chaos und niemand ist daran interessiert etwas dagegen zu unternehmen.
Würdest du wieder nach Deutschland zurückkehren, um dort zu arbeiten oder möchtest du hier in Kroatien für immer bleiben?
Ich habe eigentlich nicht vor wieder nach Deutschland zu ziehen, aber ich habe Angst, dass ich es in Kroatien nicht aushalten werde. Hier läuft einfach nichts so wie es sollte und wenn ich mir vorstelle, dass ich als Lehrerin weniger verdienen werde als ein Freund der in einem Bestattungsunternehmen arbeitet, dann spiele ich schon mit dem Gedanken wieder nach Deutschland zu ziehen. Meine Mühe wird hier einfach nicht geschätzt und dann frage ich mich weshalb ich eigentlich studiere.
Falls du nicht mehr nach Deutschland zurückkehrst, was wirst du hier am meisten vermissen?
Meine Freunde mit denen ich all die Jahre befreundet war und viel Schönes zusammen erlebt habe. Natürlich auch mein Karlsruhe in dem ich mich so wohl fühle und das mit vielen schönen Erinnerungen verbunden ist. Auch werde ich die Auswahl an vielen Dingen vermissen, die keiner braucht, sie sich aber trotzdem leisten kann.
Siehst du dich selbst als eine Deutsche oder eher als eine Kroatin, und warum?
Ich fühle mich in Deutschland und in Kroatien wie zu Hause. Entsprechend der Definition ist Kroatisch meine Muttersprache, aber ich betrachte eher Deutsch als meine Muttersprache, denn dadurch, dass ich in Deutschland geboren bin und bis zu meinem 23. Lebensjahr dort gelebt habe, kann ich mich auf Deutsch viel besser ausdrücken als auf Kroatisch. Aber meine Eltern sind Kroaten und ich habe nur die Kroatische Staatsangehörigkeit. Da ich aber sowohl deutsche als auch kroatische Normen und Werte vermittelt bekommen habe, kann ich mich mit beiden Kulturen identifizieren.
Welches Land ist für dich dein Heimatland, und weshalb?
Ich sage immer, dass ich 3 Heimatländer habe. Ich bin in Deutschland geboren und habe bis zu meinem 23. Lebensjahr dort gelebt. Daher betrachte ich Deutschland als mein Heimatland. Meine Eltern sind aber bosnische Kroaten und haben mir schon als Kind diese Länder nahe gebracht. Dort sind auch alle meine Verwandten, die ich sehr lieb habe. Seit es mich gibt, gibt es auch unser Haus in Bosnien und wir haben auch vor, eine Wohnung in Kroatien zu kaufen. Daher betrachte ich diese Länder auch als meine Heimatländer.