Ende einer Flucht

Von Katarina Ivanković

Als der Krieg 1992 in Bosnien und Herzegowina ausbrach, mussten Mato Lovrić (jetzt 24) und seine Familie Tramošnica (ein kleines Dorf im Norden von Bosnien und Herzegowina) verlassen und nach Kroatien flüchten. Dort lebte er zwei Jahre und danach ging er nach Deutschland, wo er nur vier Jahre seines Lebens verbrachte. Doch diese kurze Zeit hatte großen Einfluss auf sein Leben. Mato Lovrić kehrte 1998 nach Kroatien zurück, aber seine Liebe zu Deutschland und vor allem zur deutschen Sprache behielt er weiterhin. Deshalb entschloss er sich nach seinem Gymnasiumsabschluss zu einem Germanistik- und Anglistikstudium. Heute ist er Englisch- und Deutschlehrer und unterrichtet an einer Wirtschaftsschule in Đakovo (Kroatien). Im folgenden Interview redet Mato Lovrić über seine Erfahrungen während seines Aufenthaltes in Deutschland, seinen jetzigen Lehrerberuf und seine Zukunftspläne.

Wie alt waren Sie, als Sie ihre Heimat wegen des Krieges verlassen mussten?
Ich war 7 Jahre alt, also noch ein Kind.

Erinnern Sie sich an diese Zeit und ist Ihnen vielleicht ein Moment bis heute ganz tief in Erinnerung geblieben?
Ich war noch jung, aber alt genug um mich an bestimmte Dinge aus dieser Zeit zu erinnern. Ich erinnere mich besser gesagt, an sehr viele Sachen aus dieser Zeit, doch eine von ihnen hat sich sehr tief in meine Erinnerung gebohrt, und zwar die Nacht als wir Bosnien verlassen mussten. Man kann sich kaum vorstellen, wie es ist, als Kind mitten in der Nacht geweckt zu werden und regelrecht aus dem Haus gezerrt zu werden ohne zu wissen was da vor sich geht. Lange Zeit hatte ich Albträume. Ich wachte nachts auf und sprang aus dem Bett, weil ich dachte wir sollen wieder weg.


Wie benahmen sich die Leute in Deutschland Ihnen und Ihrer Familie gegenüber?
Die Menschen in Deutschland waren von Anfang an sehr nett zu uns. Man hat uns immer geholfen, egal worum es ging. Ehrlich gesagt hat mich das ein Bisschen überrascht. Ich habe nicht erwartet, dass man uns mit offenen Armen empfangen würde.



Wie haben Sie Deutsch gelernt und wann haben Sie gemerkt, dass Deutsch keine Fremdsprache mehr für Sie ist?
Deutsch habe ich in der Schule gelernt. Ich kam in die 3. Klasse. Zuerst habe ich ein halbes Jahr in einer Vorbereitungsklasse verbracht. Es gab noch einige Schüler aus Bosnien, die schon vor mir in dieser Klasse waren. Sie konnten schon etwas Deutsch und so konnten sie mir sehr viel helfen. Ich war sehr dankbar dafür. Danach wurde ich in die reguläre Klasse versetzt und ab diesem Moment war ich auf mich alleine gestellt. Am Anfang gab es natürlich Schwierigkeiten, doch mit der Zeit lernte ich unbewusst die deutsche Sprache fast perfekt zu beherrschen. Ich vernahm das als etwas ganz normales. Eines Tages saß ich im Unterricht und ich schaute um mich herum und hörte meinen Mitschülern zu und erst dann wurde mir klar, dass Deutsch keine Fremdsprache mehr war. Ich konnte jedes Wort verstehen. Ich hatte Deutsch gelernt, ohne es zu wissen, sozusagen.


Beschreiben Sie bitte diesen Lebensabschnitt in Deutschland.
Ich wurde sofort sehr herzlich empfangen. Es dauerte nur einige Tage, bis ich die ersten Freundschaften geschlossen hatte. Man hört oft, wie ausländische Kinder gehänselt werden, doch zum Glück bin ich dessen verschont geblieben. Ich denke, ich hatte Glück, dass ich noch sehr jung war. In dieser Zeit findet man Freunde und es gibt keine bereits geformten Freundeskreise in die man nur schwer reinkommt. Für meine Eltern hingegen war es etwas schwieriger. Sie hatten fast keine Freunde, denn sie mussten ja arbeiten und Geld verdienen. Ihnen war klar, dass wir irgendwann Deutschland verlassen werden und einen Neuanfang in unserer Heimat machen müssen. Und nach kurzen 4 Jahren war es dann auch so weit.


Wie fühlten Sie sich, als Sie Deutschland verlassen mussten?
Ich war sehr unglücklich. Ich wusste zwar, dass dieser Zeitpunkt irgendwann kommt, doch ich war darauf nicht vorbereitet. Es war eine sehr schwierige Zeit für mich. Ich hatte sehr viele Freunde und ich war sehr wütend auf meine Eltern, weil ich dachte, dass es ihre Entscheidung war Deutschland zu verlassen.


Was brachte Sie dazu, Deutsch zu studieren?
Ich hatte Deutsch einfach zu lieben gelernt. Mir war von Anfang an klar, dass ich Deutsch und nichts anderes Studieren will. Später hatte ich dann auch das Glück und die Möglichkeit, meinen Wunsch zu erfüllen.


Wie war ihr Studium?
Es war genau das, was ich erwartet hatte. Ich war mir meiner Deutschkenntnisse bewusst, doch ich wusste auch, dass es noch sehr, sehr viel zu lernen gibt. Man lernt auch so einiges über die Kultur der deutschsprachigen Länder. Doch alleine mit dem Studium gebe ich mich nicht zufrieden. Ich plane auch irgendwann in näherer Zukunft ein Postdiplomstudium.


Warum sind Sie nach dem Studium Deutschlehrer geworden?
Es hat sich einfach die Möglichkeit ergeben, als Lehrer zu arbeiten. Ich habe mich nicht darauf festgelegt, unbedingt nur Lehrer zu sein. Zur Zeit gefällt es mir sehr gut, doch man kann nicht wissen, was die Zukunft bringt.


Könnten Sie es sich vorstellen, etwas im Bereich der deutsch-kroatischen Beziehungen zu machen, um so diese beiden Länder etwas näher zusammenzubringen?
Auf jeden Fall. Dies ist eine sehr wichtige Frage, finde ich. Am liebsten wäre es mir, jeder in Kroatien würde Deutschland mit meinen Augen sehen, aber auch umgekehrt. Diese beiden Länder haben sehr vieles gemeinsam, man muss nur einen Weg finden, diese Gemeinsamkeiten zu nutzen.


Würden Sie vielleicht wieder nach Deutschland zurückgehen?
Ich habe schon erwähnt, ich plane ein Postdiplomstudium. Also warum nicht in Deutschland? Ich würde gerne nach Deutschland zurückgehen, jedoch würde ich dort nicht mein ganzes Leben verbringen.