Erfahrungen eines bosnischen Flüchtlings während und nach den Kriegsjahren in Ex - Jugoslawien

Von Perica Vranjic

Mato Vranjić (51) und seine Familie aus Odžak flüchteten 1992 aus ihrem Heimatland Bosnien und Herzegowina in die Schweiz. Nach ganzen 8 Jahren mussten Herr Vranjić und seine Familie wieder nach Bosnien zurückkehren.


Was glaubten Sie, als sich die ersten Anzeichen eines möglichen Krieges bemerkbar machten?
Als die ersten Anzeichen eines Konfliktes zwischen den Serben und Kroaten zum Vorschein kamen, wuβte ich sofort, dass auch Bosnien darunter leiden wird, falls es zu einem Krieg kommen würde. Unsicherheit lag in der Luft, doch niemand konnte zu diesem Zeitpunkt vorhersehen, dass es zu einem Krieg kommen wird. Ich war dennoch bereit, alles was ich in diesem Augenblick besaβ, zurückzulassen und ins Ausland zu flüchten. Obwohl mir viele Freunde und Verwandte rieten noch abzuwarten, packten ich und meine Familie die Koffer und warteten auf den richtigen Augenblick, um ins Ausland zu flüchten.

Wie würden Sie ihre Gefühle damals beschreiben, als Sie in die Schweiz flüchteten?
Diese Gefühle lassen sich nicht einfach beschreiben. Man flüchtete vor Gewalt, drohendem Kriegsdienst, Perspektivlosigkeit und wegen der völligen Zerstörung der Lebensgrundlagen. Ich musste alles zurücklassen, mein Haus, meine Arbeit, meine Karriere und viele andere wertvolle Dinge. Während der Flucht habe ich sehr viele traumatische Erfahrungen gemacht; ich sah viele Tote, Verwundete, Blut und andere schreckliche Dinge. Meine Familie war zu diesem Augenblick an einem sicheren Ort in Kroatien. Man kann als Mensch in so einer Situation gar nicht begreifen, was und warum alles dies in seinem Umfeld geschieht. Mir fiel ein Stein vom Herzen als ich mit meiner Frau und meinen Kindern in dem Bus saβ, der Flüchtlinge in die Schweiz transportierte.

Wie wurden Sie und ihre Familie in der Schweiz als Flüchtlinge aufgenommen?
Zu dieser Frage kann ich nur das Beste über die Schweizer sagen und würde nie sagen, dass die Flüchtlingsrechte miβachtet wurden. Zuerst wurden wir in eine Herberge gebracht, wo auch andere Familien aus Bosnien waren. Ein paar Monate danach wurde jeder Familie eine Unterkunft und eine Arbeitsstelle gesucht, was ich nie geglaubt hätte. Ich arbeitete in einer Fleischfabrik namens „Pizoler“ und war sehr zufrieden mit der Atmosphäre, die am Arbeitsplatz herrschte. Meine Kinder gingen zur Schule wie alle anderen Kinder und meine Ehefrau war eine zufriedene Hausfrau.

Was waren Ihre gröβten Probleme während des Aufenthalts in der Schweiz?
Das gröβte Problem, auf das ich während dieser 8 Jahre stieβ, war die Sprache. Da die deutsche Sprache ohnehin schon eine schwierige Sprache ist, erschwerte mit das „Schwizerdütsch“ (schweizer Dialekt) noch mehr das Erlernen der deutschen Sprache. Ich brauchte fast ein halbes Jahr, um die Begriffe, die ich im Alltag benötige, zu erlernen. Bei der Arbeit fiel es mir leichter, da dort auch andere Ex-Jugoslawen tätig waren. Die Kinder haben die deutsche Sprache, wie auch den schweizer Dialekt sehr schnell erworben und ich konnte mich oft an sie wenden, wenn ich etwas nicht verstanden habe.

Wie schwer fiel Ihnen die Rückkehr nach Bosnien?
Die eigentliche Rückkehr fiel mir am Anfang nicht so schwer, denn Bosnien ist und bleibt meine Heimat. Was mir jedoch Sorgen machte, war die Zukunft meiner damals kleinen Kinder. Sie hatten sich gerade in der Schweiz eingelebt und ihre Kindheit in diesem Land verbracht. In der Schweiz hatte fast jeder Einwohner eine Perspektive und eine sichere Zukunft. Nachdem wir im Jahre 2000 zurückgekehrt sind, war ich sehr besorgt, weil ich mir nicht mal in meinen Träumen vorstellen konnte, was mich erwartet. Fast die ganze Stadt Odžak, wie auch die umliegenden Dörfer waren Ruinen, auch mein Haus, das ich nicht wiedererkennen konnte. Trotz den vielen problematischen Situationen, die damals herrschten, wurde langsam alles wieder hergestellt und ich bin heute zufrieden, wie sich meine Heimat von dem Krieg erholt hat.

Was waren die kulturellen Unterschiede zwischen Ihrer Heimat und der Schweiz?
Ich persönlich habe die schweizer Kultur als eine sehr positive empfunden. Die Schweizer sind im Unterschied zu den Ex-Jugoslawen viel pünktlicher, fleiβiger, präziser und legen viel Wert auf das Detail. Dafür ist die schweizer Kultur auch bekannt geworden, z.B. die schweizer Uhren, die weltbekannt sind. In meiner Heimat sind die Leute viel entspannter, nehmen ihre Arbeit auch ernst, aber mit mehr Gelassenheit. Obwohl es auch innerhalb der Schweiz kulturelle Unterschiede gibt, wie auch in Bosnien und Herzegowina, ist das schweizer Volk meiner Meinung nach eine kompakte und starke Einheit. Dies kann ich heutzutage von meinem Heimatland nicht behaupten. Auch wenn der Krieg jetzt weit hinter uns liegt, ist der Alltag immer noch von Unsicherheit und Vorsicht geprägt.

Wo sehen Sie Bosnien und Herzegowina in ca. 10 Jahren?
Ich hoffe, dass mein Heimatland in diesen 10 Jahren die innenpolitischen Komplikationen, die zur Zeit herrschen, überbrückt und somit auch den Beitritt in die Europäische Union schafft. Es fällt fast jedem schwer, ein Optimist zu sein, was Bosnien und Herzegowina betrifft, denn die Arbeitslosenzahl ist sehr hoch, der Lebensstandard niedrig, die Wirtschaft unstabil und die Finanzkrise erschwert den Einwohnern das Leben. Trotz allen Problemen bin ich zuversichtlich, dass es in den nächsten 10 Jahren einen Aufschwung geben wird und dass meine Heimat bald Mitglied der EU sein wird.