NEUE „ALTE“ HEIMAT

Von Dragana Gajić

Wir treffen uns im Cafe in dem Ivana arbeitet, ihre Schicht ist gerade zu Ende. Ivana hat einst in Deutschland gelebt und jetzt vergleicht sie ihr Leben hier, mit dem Leben, das sie in Deutschland geführt hat.

Du und deine Familie seid vor neun Jahren wieder nach Kroatien gezogen. Welche Erwartungen und Ängste hattest du vor deiner Rückkehr und haben sie sich für dich erfüllt?

Ja, ich und meine Familie haben ungefähr neun Jahre lang in Deutschland gelebt, seit meinem vierten Lebensjahr. Dort waren wir wegen des Krieges hingezogen. Damals war es schwer für mich, Kroatien zu verlassen, aber ich war sehr jung und konnte nicht verstehen, was damals geschah. Aber, es war noch schwerere für mich, Deutschland zu verlassen. Dann war ich schon 13 Jahre alt, hatte gute Freunde, ging in die Schule. Ich war einfach zufrieden mit meinem Leben dort. Ich wollte nicht gehen. Aber wir wurden abgeschoben und mussten gehen. Eigentlich, hatte ich fast keine Erwartungen, soviel ich mich erinnere, nur Ängste. Ich wollte meine Freunde nicht zurücklassen und wusste nicht, ob mich Leute in Kroatien akzeptieren würden, ob ich neue Freunde finden würde. Ich wollte meinen Lebensstil nicht ändern, hatte keine Lust, mich einem neuen Land sozusagen, wieder anpassen zu müssen. Ich wusste nicht was mich hier erwartete. Eigentlich war alles sehr gut. Zuerst war es schwer, denn ich fühlte mich völlig fremd, aber als ich in die Schule kam, fand ich neue Freunde, lernte viele neue Leute kennen und alle haben mich wirklich gut aufgenommen. Alle haben mir geholfen, mit der Sprache, mit dem Lernen. Mit der Zeit, bis zum Ende meines ersten Schuljahres in Kroatien, habe ich mich wirklich gut, so glaube ich, in die Gesellschaft integriert und war sehr zufrieden mit meinem neuen Leben in Slatina, das mir eigentlich von Anfang an sehr gefiel.

Wie unterscheidet sich jetzt dein Leben von dem in Deutschland?
Es gibt Unterschiede. Hauptsächlich, weil ich jetzt älter bin. Ich war noch ein Teenager als ich in Deutschland lebte. Ich hatte damals keine Probleme, keine Verantwortung, alles was mich interessierte waren meine Freunde, Unterhaltung, Schule. Ja, nicht so sehr, aber in die Schule muss man gehen. Jetzt bin ich 22, arbeite als Kellnerin schon 5 Jahre lang. Also, ich bin berufstätig und muss verantwortlich sein, mein Privat- und Berufsleben muss ich gut ausgleichen. Dabei helfen mir meine Freunde sehr, die mich unterstützen. Während des Sommers arbeite ich am Meer. Dabei helfen mir meine Deutschkenntnisse, denn um dort arbeiten zu können, muss man mindestens eine Fremdsprache sprechen. Es ist manchmal anstrengend, denn in Deutschland hat meine Familie alles bestimmt, alle Probleme gelöst, ich hatte es nur zu genieβen. Jetzt bin ich auf mich selbst gestellt, muss alle wichtigen Entscheidungen selber treffen, mit allen Problemen selbst fertig werden, denn ich lebe alleine. Eigentlich, im Haus meiner Mutter, aber sie ist in Deutschland, wie mein Bruder.

Du hast gesagt, ihr wurdet abgeschoben. Was machen denn deine Mutter und dein Bruder noch in Deutschland, haben sie keine Probleme dort?
Ja, das stimmt, aber nach einiger Zeit sind meine Mutter und Bruder zurückgekehrt, um dort wieder zu arbeiten. Noch haben sie keine Probleme, aber deswegen ständige Angst. Sie haben keine Papiere, sie sind Schwarzarbeiter und falls man sie erwischt, bekommen sie jahrelanges Einreiseverbot in Deutschland. Sie müssen vorsichtig sein. Auβerdem, hat meine Mutter einen Freund dort, vielleicht werden sie auch heiraten und so könnte sie die Papiere bekommen. Zwei Jahre lang hat sie Slatina nicht besucht, aber deswegen kommt mein Bruder oft. Für mich ist es gut, dass sie dort sind, denn auch ich gehe zwei- bis dreimal im Jahr nach Deutschland zu Besuch und um einzukaufen, natürlich. So habe auch ich den Kontakt mit Deutschland nie verloren.

Deine Familie findet also Deutschland besser als Kroatien und nimmt jedes Risiko an, um dort Leben zu können.Möchtest du nicht auch wieder nach Deutschland ziehen?
Nein, ich möchte nicht wieder nach Deutschland. Ich möchte nicht ein solches Leben führen. Es gibt zu viel Stress, ständig hin und her zu ziehen, die Polizei ständig zu vermeiden, usw. Meiner Familie gefällt es in Deutschland, weil sie dort mehr verdienen können und es gibt mehrere Möglichkeiten, den Job zu wechseln, Geld zu verdienen, zu shoppen, usw. Ich verdiene als Kellnerin nicht so viel, deshalb fahre ich im Sommer ans Meer, aber ich habe mich an Kroatien ganz gewöhnt. Mir gefällt Slatina, gerade weil es eine kleine Stadt ist, das Leben hier ist ruhig, nicht wie in München, wo ich jederzeit auf der Hut sein müsste, dass mich niemand nach meinen Papieren fragt. Aber, wie schon gesagt, jedes Jahr besuche ich meine Familie in Deutschland. Das ist genug von Deutschland für mich.

Du hattest Freunde in Deutschland. Seid ihr in Kontakt geblieben?

Mit meinen Freunden in Deutschland habe ich den Kontakt fast ganz verloren. In den ersten Jahren nach meiner Rückkehr, haben wir noch Kontakt gehalten. Einige meiner Freunde sind auch nach Kroatien gezogen, nach Zagreb, aber mit den Jahren ist der Kontakt ganz abgebrochen. Ich habe noch eine Freundin in München, mit der ich in die Stadt gehe oder Kaffee trinken gehe, wenn ich nach Deutschland komme. Sie lebt in der Nähe meiner Mutter. Manchmal gehen wir raus, aber in den letzten Jahren immer weniger. Ich habe neue Freunde hier gefunden, es sind viele Jahre vergangen, seitdem ich in Deutschland gelebt hatte und es ist kein Wunder, dass man den Kontakt mit den Leuten aus seiner Vergangenheit verliert.

Wo kann man sich besser unterhalten, in Deutschland oder in Kroatien?
Was mich angeht, in Kroatien. Ich finde die Leute hier entspannter, offener und irgendwie fröhlicher als in Deutschland. Dort gibt es meistens groβe Diskotheken, wo es oft Probleme gibt. In Deutschland gibt es Leute aus aller Welt und nicht alle kommen gut miteinander aus. Es gibt viele Schlägereien, junge Delinquenten, die sich betrinken oder die auf Drogen sind, auch viele Vergewaltiger. Dort hat man Angst, nachts alleine in die Stadt zu gehen. Es gibt auch Banden. In Slatina kann ich rausgehen wo und wann ich will. Auch wenn ich alleine um sechs in der Früh nach Hause gehe, mache ich mir keine Sorgen. Hier haben die Leute mehr Vertrauen zueinander. Was mir auch gefällt sind Cafes und Gaststätten, wohin man hier rausgeht und ich weiβ schon wen ich wo finden kann und welche Musik in welchem Cafe gespielt wird.

Denkst du, dass man in Kroatien sicherer als in Deutschland ist?
Ja, das glaube ich. Die Städte in Deutschland sind gröβer als hier und die Menschen beschäftigen sich meistens mit sich selbst. Man kann in einem Gebäude jahrelang leben ohne seine Nachbarn zu kennen, so hält man auch in menschlichen Beziehungen Distanz und zögert ein wenig, wenn es darauf ankommt, jemandem zu helfen. Hier sind die Leute offener, interessieren sich fürs Leben der Anderen und können kaum erwarten, sich in jemands Leben einzumischen oder jemandem zu helfen, so sehe ich es. Einerseits, ist es nicht so positiv, aber andererseits, hilft es, die Ordnung zu halten sozusagen, denn man traut sich nicht etwas Falsches zu machen, eine Untat zu begehen, weil man weiβ, dass man schnell erwischt wird. In Deutschland hört man ständig von neuen Morden, Plünderungen, Vergewaltigungen und Ähnliches. Hier passiert das nicht so oft, obwohl man immer mehr davon in Zeitungen lesen kann. Auch hier hat sich die Situation verschlechtert. Trotzdem, denke ich hier nicht darüber nach, und ja, ich fühle mich ganz sicher.

Und zum Ende, hast du es je bereut, dass du wieder in Kroatien bist?
Natürlich. Als ich hier angekommen bin. Damals war ich sehr traurig, dass ich in Kroatien bin. Aber jetzt habe ich mir mein Leben hier aufgebaut und kann mich nirgendwo anders sehen. Hier habe ich meine Freunde, meinen Job und alles, was ich brauche. Es ist wahr, hier ist der Lebensstandard niedriger als in Deutschland und ich bin nicht so zufrieden mit der Regierung, aber ich fühle mich zu Hause.