Viele Menschen hier haben vergessen, warum sie eigentlich leben.

Von Tomislav Hajduković

Es ist Donnerstagmorgen und ein gewöhnlicher Arbeitstag an der Universität Karlsruhe. Es ist 8:30 Uhr. Das morgendliche Sonnenlicht erhellt den Raum, frisch gebrühter Kaffee steht auf dem Schreibtisch und mir gegenüber sitzt Dalma Horvat (Name geändert, Anm. d. Red.), vor kurzem noch Studentin, heute diplomierte Bauingenieurin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Informationsmanagement im Ingenieurwesen. Bereit auf meine Fragen zu antworten, sitzt sie mit gefalteten Händen in ihrem Bürostuhl und wippt entschlossen hin und her. Dalma Horvat ist kroatischer Nationalität und lebt seit 1991 in Deutschland, wo sie mit ihrem Sohn, als der Kroatienkrieg ausbrach, Zuflucht suchte. Vor dem Krieg in Kroatien hat sie schon einige Erfahrungen in der Arbeitswelt gesammelt und kann diese den heutigen Erfahrungen in Deutschland gegenüberstellen.

Guten Morgen Frau Horvat. Beschreiben Sie uns doch einen normalen Arbeitstag am Institut!

Als erstes muss ich meine E-Mails checken und beantworten. Heutzutage benutzt auch in der Arbeitswelt jeder die Vorteile, die das Internet bietet. Alle Geschäftspartner und Kollegen nutzen E-Mail als Hauptkommunikationsmittel. Sonst widme ich etwa die Hälfte der Arbeitszeit der Lehre und den Studenten, bereite und halte die Vorlesungen, Übungen und Praktika, die nach dem Stundenplan in der laufenden Woche stattfinden. Fast jederzeit stehe ich den Studenten für ihre Fragen zur Verfügung. Die andere Hälfte der Arbeitszeit besteht aus der Arbeit an aktuellen Projekten. In der Mittagspause gehe ich mit Kollegen in unsere „berühmte“ Mensa, oder irgendwo anders hin. Manchmal treffe ich mich auch mit Freunden in dieser Zeit.

Mögen Sie ihren Job? Was sind die Vor-und Nachteile in ihrer Arbeit?
Ja, ich mag meinen Job. Man könnte sagen, alles ist locker hier. Unser Lehrangebot ist sehr breit gefächert und interessant. Und generell, die Arbeit mit jungen, klugen und motivierten Leuten macht Spaß. Ein Nachteil bei dieser Arbeit ist, dass die Tätigkeiten nicht immer sehr praktisch bezogen sind und dass von einem erwartet wird, irgendwann mal die Doktorarbeit abzugeben und zu promovieren.

Sind Sie der Meinung, dass Sie im Vergleich zu Anderen gut bezahlt sind? Wie sind im Vergleich dazu die Löhne in Kroatien? In Moment ist die Situation im Bauwesen in Deutschland sehr schlecht, sodass die Gehälter in der freien Wirtschaft denen an der Uni entsprechen, oder sogar kleiner sind. Normalerweise verdient man größeres Geld „draußen“ in der Ingenieurpraxis. Ein Vergleich mit der Vergütung in Kroatien macht keinen Sinn, da dort eine ganz andere wirtschaftliche Lage herrscht. Natürlich verdienen wissenschaftliche Assistenten in Kroatien weniger als die in Deutschland, genauso wie auch die Ingenieure in der Wirtschaft.

Haben Sie genug Freizeit neben ihrem Job? Wie viele Tage im Jahr haben Sie frei? Finden Sie, dass im Bezug auf die Arbeitsstunden in Kroatien gegen die Arbeiterrechte verstoßen wird?
Es bleibt mir nicht so viel freie Zeit. Manchmal muss ich die Vorlesungen an Wochenenden vorbereiten. Vertraglich habe ich eine 40-Stündige Arbeitswoche und 30 Tage Urlaub im Jahr. Ich würde eher sagen, dass in Deutschland gegen die Arbeiterrechte der Ingenieure verstoßen wird, denn im Ingenieurwesen werden heutzutage Überstunden und Arbeit an Feiertagen und Wochenenden nicht bezahlt, sondern als selbstverständlich angesehen. Es wird einfach erwartet, dass die Arbeit ohne Vergütung gemacht wird. Ich denke, in der Arbeiterwelt gibt es feste Arbeitszeiten. Man weiß, wann Feierabend ist und die geleisteten Überstunden werden angerechnet. So, wie ich es in Erinnerung habe als ich in Kroatien gearbeitet habe, betrug die Arbeitszeit dort acht Stunden am Tag, einschließlich einer halbstündigen Pause, die vom Arbeitgeber ebenso bezahlt wurde. In Deutschland wird die Pause nicht bezahlt. Üblicherweise dauert die Pause eine Stunde, was schon im Voraus bedeutet, dass man mindestens neun Stunden täglich in der Arbeit bleiben muss.

Meinen Sie, dass Arbeit und Wohlstand in Deutschland im Gegensatz zu Kroatien zu groß geschrieben werden? Vergessen die Menschen dabei zu leben? Gibt es viele Workaholics?
Wohlstand in Deutschland ist nicht mehr das, was es früher war. Viele Menschen hier haben vergessen, warum sie eigentlich leben. Ja, es gibt viele Workaholiker. Das heißt nicht unbedingt, dass sie mehr und besser arbeiten als die anderen, sondern dass sie mit sich selbst nichts Besseres anfangen können, als bis spät in die Nacht in der Arbeit zu bleiben. Bei vielen Menschen ist der Grund, dass sie keine Familie und auch keine Freunde haben.

Sind Ihrer Meinung nach die Aufstiegschancen in Deutschland besser als in Kroatien? Ja, das denke ich. Ich musste während meines ganzen Studiums für Lebensunterhalt arbeiten und da ich mich alleine um zwei Kinder kümmern musste, konnte ich nicht eine der ganzen Aufstiegschancen, die mir angeboten wurden, wahrnehmen. Als alleinerziehende Mutter und ohne Unterstützung der Familie ist man in Deutschland ziemlich aufgeschmissen… Sonst finde ich, dass es für die Studierenden in Deutschland an den Universitäten eine viel bessere Infrastruktur gibt, als in Kroatien, viel mehr Austauschprogramme, Auslandssemester, Sport- und Lehrangebote, Jobangebote für Studenten und Absolventen, Freizeitaktivitäten, Sprachkurse usw.

Wie haben Sie es als Flüchtling und Frau geschafft sich in der Arbeitswelt durchzusetzen und sich eine Existenz zu schaffen? Eigentlich hatte ich damit keine Probleme. Ich musste bloß lange darauf verzichten, zu arbeiten, da ich zu Hause zwei Kinder hatte und nicht den ganzen Tag von morgens bis abends in der Arbeit verbringen konnte. Als die Kinder aber alt genug wurden, konnte ich ohne Probleme arbeiten gehen und mich um meine Karriere kümmern. Dass ich Flüchtling bin und auch noch Frau hat mich nicht großartig negativ beeinflusst.

Gibt es an Ihrem Arbeitsplatz Diskriminierung in irgendeiner Form? Haben sie Erfahrungen damit gemacht? Wie nehmen Sie die Situation in Kroatien wahr? Sind Menschen in Kroatien öfter solchen Ungerechtigkeiten ausgesetzt?
Eine Frau ist im Ingenieurberuf öfter der Diskriminierung ausgesetzt, sowohl in Deutschland, als auch in Kroatien. Man glaubt einer Frau einfach nicht, dass sie gut ist. Wenn sie tatsächlich gut ist, dann sind die Kollegen und Vorgesetzten oft in ihrem Ego verletzt und gekränkt, genauso wie auch die Ehemänner zu Hause. Leider habe ich diese Erfahrung schon so oft machen müssen.

Was für Privilegien haben Arbeiter in Deutschland, was den Arbeiterschutz und ihre Rechte angeht, im Gegensatz zu Kroatien? Grundsätzlich sind die Maßnahmen zum Arbeiterschutz und ihrer Sicherheit in Deutschland besser als in Kroatien. Uns an der Universität betrifft das jedoch weniger, deshalb macht es wenig Sinn, an dieser Stelle davon zu reden.

Wo würden Sie lieber arbeiten? Argumentieren Sie!
Man arbeitet gerne in einem guten Kollegenteam und gutem Arbeitsklima. Ebenso wichtig ist, dass man das arbeitet, was man liebt und die Arbeit einem Spaß macht. Wichtig ist auch, dass man sich bei der Arbeit in lichten und gut gelüfteten Arbeitsräumen aufhält, dass man den Arbeitsplatz gut erreichen kann, dass man von den Vorgesetzten befördert und human behandelt wird, sich die Arbeits- und Freizeit selbst einteilen kann und dass die Bezahlung einigermaßen stimmt. Ich denke, so einen Arbeitsplatz zu finden ist ein außerordentliches Glück, und hängt nicht davon ab ob man in Deutschland oder in Kroatien ist.

Vielen Dank für das Interview, Frau Horvat! Nichts zu danken!