Rückkehr aus dem Lager Dachau

Von Dajana Novak


Können Sie sich bitte zuerst vorstellen?
Natürlich. Mein Name ist Đurđica Novak, ich wurde am 12. Dezember 1946 in Čakovec, Međimurje geboren. Mein Vater hieß Franjo Razleg und meine Mutter Veronika Razleg. Ich habe eine Schwester, Marija. Meine zweite Schwester, Nada, ist leider schon gestorben. Von Beruf bin ich Lehrerin, bin schon 40 Jahre lang verheiratet, habe zwei Söhne und schon fünf Enkelkinder. Ich glaube, dass ist das Wichtigste.

Also, Ihr Vater war ein Häftling in dem bekannten Konzentrationslager Dachau. Können Sie etwas davon erzählen?
Ja. Mein Vater wurde am 1. Dezember 1915 geboren. Zusammen mit meiner Mutter lebte er in Mursko Središće, wo er als Beamter arbeitete. Am 27. Oktober 1944 wurde er verhaftet. In den Papieren, die er später bekam, steht, dass er wegen seiner politischen Überzeugung verhaftet wurde. Das war aber nicht so. Im Jahr 1944 wurde in Kroatien verboten, die Nachrichten im Radio zu hören. Mein Vater war aber immer ein Rebell. (lacht)

Sie sagen, dass Ihr Vater verhaftet wurde, weil er Radio hörte. Warum war das verboten? Können sie die Situation in Kroatien ein bisschen näher beschreiben?
Kroatien hieß zur Zeit des Nationalsozialismus „Unabhängiger Staat Kroatien“ und war unter Regierung von Ante Pavelić. Der Staat entstand 1941 unter der Herrschaft der Ustascha, die mit der damaligen deutschen Regierung sehr gut befreundet war. Auch in Kroatien wurden damals Konzentrationslager eingerichtet. Mit dem Geschehen in Kroatien hatte aber Međimurje zu dieser Zeit nicht viel zu tun, denn es war unter der Regierung von Ungarn. Am 10. Juli 1941 hat Ungarn Međimurje annektiert. Pavelić war natürlich dagegen, aber die Deutschen haben sich lieber auf die Seite von Ungarn gestellt. Die Ungarn waren die, die meinen Vater weggeführt haben. Man durfte damals nicht Radio hören, weil die Alliierten immer mehr Erfolg hatten und das Volk sollte nichts davon wissen.

Können sie etwas mehr über die Verhaftung Ihres Vaters erzählen?
Na ja, zuerst wurde eigentlich meine Mutter verhaftet. Mein Vater hat gehört, dass ihn jemand bei der Polizei angezeigt hat und hat sich versteckt. Die Ungarn haben deswegen meine Mutter verhaftet, und sagten, dass sie meine Mutter nur dann freilassen werden, wenn sich mein Vater der Polizei ergibt. Sie, meine Mutter, war im Gefängnis in Čakovec. Natürlich hat mein Vater gemacht, was von ihm verlangt wurde. Meine Schwestern waren damals vier und ein Jahr alt und konnten nicht ohne Mutter bleiben.

Was geschah nach der Übergabe? Wie endete Ihr Vater im KZ Dachau?
In Čakovec blieb er ca. zehn Tage. Danach blieb er zwei Tage in einer Stadt, ich kann mich gerade nicht an den Namen erinnern. Aus dieser Stadt ist er mit einem Zug nach Dachau gefahren. Das geschah am 9. November 1944. In Dachau blieb er bis zur Befreiung des Lagers, also bis zum Ende des Krieges. Die Amerikaner haben das Lager im April 1945 befreit, aber mein Vater kam erst am 27. Juli nach Hause, weil er zu schwach und krank war, um eine längere Reise zu unternehmen. Er wurde eigentlich in Dachau geheilt, in einem amerikanischen Lazarett. Als er wieder in Kroatien war, musste er noch 6 Monate lang unter ärztlicher Aufsicht stehen und wurde noch in Čakovec geheilt. Außer ihm, haben noch zwei Männer aus seiner Baracke überlebt.

Hat Ihr Vater vielleicht was davon erzählt, was mit ihm in Dachau geschah?
Eigentlich wollte er nie vor uns Kindern davon erzählen. Manchmal redete er darüber mit meiner Mutter, aber das geschah ca. 10 Jahre nach seiner Rückkehr… Am Anfang ignorierte er ständig das Thema und die Leute haben immer wieder etwas gefragt…Die sind ja von Natur aus neugierig. Er wollte aber nur alles vergessen. Meine Mutter hat mir mehr davon erzählt, wie es für ihn war. In Dachau wurde er in einer speziellen Baracke stationiert, die mit Stacheldrahtzaun umgeben war und dadurch von den anderen getrennt. An meinem Vater haben deutsche Ärzte medizinische Experimente gemacht. Als er wieder in Kroatien war, musste er einige Papiere ausfüllen. In denen steht, dass das erste Experiment an ihm im Dezember gemacht wurde. Ihm wurde eine Spritze in die linke Hand gegeben. Als Folge davon erschienen an seiner Haut Schwellungen und Blasen. Nachdem wurde ihm noch eine Spritze gegeben. Die früheren Symptome waren weg, aber ihm waren Grinde geblieben, weil er die Schwellungen aufgekratzt hat. Er wusste nicht, was für eine Krankheit das war. Die meiste Zeit, die er im Lager verbrachte, war er bewusstlos. Im März wurde er mit Fleckfieber infiziert und wurde in einem deutschen Lazarett geheilt. Wahrscheinlich haben die deutschen Ärzte neue Heilmittel an ihm getestet.

Was für Folgen hatten die Versuche, die an Ihrem Vater in Dachau gemacht wurden?
Als er nach Hause kam, wog er nur 37 Kilo und er war 1,85 groβ. Die Familie musste ständig darauf aufpassen, dass er nicht zu viel isst, weil er so ausgehungert war, dass ihn das Essen eigentlich schädigen könnte. Meine Mutter musste am Anfang Lebensmittel vor ihm verstecken. Er hatte ständig Hunger, auch ins Bett ging er eine Zeit lang mit einem Stück Brot, das seine Frau für ihn vorbereiten musste. Ohne das konnte er nicht einschlafen. Als er sich besser fühlte, konnte er auch nicht alles essen was er wollte. Wenn er Fleisch und Eier konsumierte, bekam er wieder Hautausschlag. Sein Geruchsinn, Gesichtssinn und sein Gehörsinn waren auch beschädigt.

Hatte er vielleicht irgendjemanden, der ihm in Lager geholfen hat?
Ja. Er hatte sogar einen Freund. Sein Name war Deban Franjo und war auch ein Häftling im Lager. Da er von Beruf Arzt war, bekam er manchmal etwas mehr zum Essen von den deutschen Ärzten, denn sie waren doch „Kollegen“, und das hat er mit meinem Vater geteilt. Franjo hat auch überlebt. Später hat er sogar meinen Vater geheilt… Mein Vater hätte vielleicht nicht überlebt, wenn ihm Franjo nicht geholfen hätte. Das hat er häufig selbst gesagt…

Was geschah mit dem Leben Ihres Vaters als er endlich zu Hause war und die ganze Geschichte schon hinter ihm war?
Als er sich besser fühlte begann er wieder zu arbeiten und wurde Leiter der Eisenbahnstation in Lepoglava und später auch der Leiter der Eisenbahnstation in Mursko Središće. 1946 wurde ich geboren. Mein Vater starb im Jahr 1981, als er 66 Jahre alt war.