Schönheitsmythos: Ein Wahn, der kein Ende zu nehmen scheint

Von Ivana Pavić

Rechts im Schaufenster wirbt das makellose Gesicht eines jungen Models für teure Sonnenbrillen. Im Laden gleich daneben ein Model mit viel zu starkem Make-up im Gesicht, das für eine neue Linie von Kosmetikprodukten wirbt. Gegenüber im Tourismusbüro hängt ein Poster von einer halb nackten, an einem Strand liegenden Frau, das für Billigreisen und Last-Minute-Flüge in den Süden wirbt. Ein paar Schritte weiter werden an einem Kiosk Zeitschriften, Magazine und andere Blätter verkauft, die auf ihren Titelseiten lachende, strahlende Frauengesichter und junge Frauen in Bikinis abbilden. Junge Mädchen und Frauen gehen an einem langen Schaufenster vorbei und es bleibt unklar, ob sie nun die darin zum Verkauf angebotene Kleidung oder ihr Spiegelbild betrachten. Das sind nur einige Szenen und Qualen aus unserem Alltag, denen Frauen auf der ganzen Welt ausgesetzt sind und mit denen sie irgendwie lernen müssen auszukommen. Überall wo man nur hinsieht, wird man mit Bildern von unbekannten Schönheiten konfrontiert. Es vergeht keine Werbung, ohne dass darin eine attraktive, junge Frau vorkommt. Doch wem nützen solche Bilder? Was tun sie uns und unserem Bewusstsein an? Und wer will mit uns manipulieren? In ihrem 1991 erschienenem Buch „Der Schönheitsmythos“, das den passenden Untertitel „Wie Darstellungen von Schönheit gegen Frauen verwendet werden“ trägt, will die amerikanische Schriftstellerin und Feministin der dritten Welle, Naomi Wolf, Antworten auf diese und andere Fragen nicht nur verwirrten Leidensgenossinnen, sondern auch Männer geben. Wolf gibt uns durch Zahlen und Fakten, eigene Recherchen und persönliche Erfahrungen einen Einblick in den heutigen, durch verschiedenste Bilder von nicht existierenden Schönheiten, wachsenden Schönheitswahn. Schon von Anfang an wurde Frauen in ihr Bewusstsein geredet, dass sie sich nur um Haus, Kind und ihr Aussehen zu kümmern haben; Männer waren dagegen nur für die Ernährung der Familie verantwortlich und durften so aussehen, wie sie Mutter Natur geschaffen hat -- mit oder ohne Bart, Bierbauch, Glatze, usw. Doch viele meinen, dass sich mit der Entwicklung des Feminismus im 20. Jahrhundert die Position der Frau in der Gesellschaft auch geändert hat. Oder etwa nicht? „Frauen haben damals den Arbeitsmarkt geströmt und sich Positionen erkämpft, die nur für ihre männlichen Kollegen gedacht waren. Viel mehr Frauen haben mehr Geld, Macht, Einfluss und gesetzliche Anerkennung wie jemals zuvor. Doch so wie wir uns nun körperlich fühlen, geht es uns vielleicht schlechter als unsere nicht-emanzipierten Großmüttern.“, so Wolf. Sie meint, dass viele beschäftigte Frauen noch ein verstecktes Leben führen, das ihre Freiheit vergiftet – ein Leben voll von Schönheitsidealen, Selbsthass, körperlicher Besessenheit, Angst vor dem Altern und einer Todesangst davor die Kontrolle zu verlieren. Dieser Druck auf Frauen wird vonseiten großer Weltmächte ausgeübt, die es darauf abgesehen haben das weibliche Geschlecht durch falsche Ideale und Selbsthass zu zerstören. Wolf teilt den Schönheitsmythos in ihrem Buch auf fünf Kapitel: Arbeit, Kultur, Religion, Sex und Gewalt. „Mit dem Eintritt in den modernen, westlichen Arbeitsmarkt wurde die Diskrimination aufgrund von Schönheit zu einer Pflicht, nur wegen der Meinung, dass Frauen zweifach besser sein werden, und nicht, dass sie nicht gut genug sind“, behauptet Wolf, und teilt damit eine große Schuld den Arbeitgeber zu, die die Schönheitspflicht nicht einfach nur zur Dekoration entwickelt haben, sondern aus Angst. Obwohl die Anzahl der Frauen 52, 4 % der Weltbevölkerung ausmacht und sie zweifach mehr als Männer arbeiten (eine Amerikanerin arbeitet wöchentlich 99, 6 Stunden!), geben sie sich doch unterdrückt und halten sich an die skurrilsten Vorschriften. Der Versuch diesem Druck damals zu entkommen hielt nicht für lange Zeit – es wurde die dritte Schicht eingeführt, was bedeutet, dass sie nach stundenlanger Arbeit noch die Arbeit an sich selbst in ihrer eigentlichen Freizeit erwartet. „Eine beschäftige unverheiratete Frau muss „sexy“ wirken, damit ihre Arbeit und Unabhängigkeit nicht so erscheinen, wie sie es wirklich sind: ernsthaft, gefährlich und destabilisierend“, so Wolf. Doch auch das hat einen Hacken: Man darf auch nicht zu weiblich zur Arbeit erscheinen, den sonst ist man der Gefahr ausgesetzt, sexuell belästigt zu werden. Doch wenn man nun professionell angezogen erscheint, kann man ohne weiters wegen „mangelnder Schönheit“ entlassen werden. Es ist eine „Mission Impossible“, es der strengen Arbeitswelt gerecht zu machen, und deswegen wird sie von Frauen auch abverlangt. Wenn junge Mädchen heutzutage ein Magazin, wie zum Beispiel Cosmopolitan in die Hand nehmen, laufen sie der Gefahr, die abgebildeten, dürren, im Fotoshop bearbeiteten Models zu ihren Idolen zu machen. Doch warum ist das bei Männern und männlichen Models nicht der Fall? Wolf meint dazu: „Frauen sind nur Schönheiten in der Männerkultur, damit diese Kultur weiterhin als eine männliche bestehen bleibt. Wenn Frauen in der Kultur Persönlichkeit zeigen, werden sie nicht mehr begehrt, im Unterschied zu einer begehrenswerten, unfähigen, naiven Frau“. Der Schönheitsmythos hat für Frauen schon im Kindesalter, mit dem Lesen von Märchen über wunderschöne Prinzessinnen, Königinnen, Bauernmädchen usw. begonnen. Das Leben dieser Gestalten war den jungen Leserinnen nur aus einem einzigen Grund interessant – weil sie schön sind. Schon da wird den Mädchen in ihr Bewusstsein geredet, dass ihnen interessante Dinge nur dann passieren können, wenn sie auch schön sind. Mit der Zeit werden sie dann neuen Heldinnen ausgesetzt – Models aus ihren Lieblingszeitschriften. Magazine und Zeitschriften für Frauen erschienen am Anfang des 20. Jahrhunderts nur aus einem einzigen Grund – man wollte ihnen auf das Leben hinweisen, das sie zu führen hatte. Sie mussten ihre Rollen als gute Ehefrau, Mutter und Hausfrau zur Perfektion bringen. Doch als ihr Interesse an Kleidung, Haushaltsgeräten, und anderem, das in den Zeitschriften angeboten wurden, zu fallen schien, musste ein neuer Markt aufgebaut werden, der den Alten ersetzen kann und dem Frauen nun nicht entkommen können. Zu diesem Zweck richtete die amerikanische Zeitschrift Vogue mit einer Ausgabe aus dem Jahr 1969 den Blick auf den nackten weiblichen Körper. Verschiedene Artikel, Berichte und Bilder haben auf Probleme am Körper hingewiesen – Probleme, die überhaupt keine sind. Es ist die Geburtsstunde eines neuen Markts – eine 33 Milliarde Industrie der Schlankheit und eine 22 Milliarden schwere Industrie der Jugend. Der Preis, den Frauen nun für ihre erkämpfte Emanzipation zahlen müssen. Gesunde, junge Mädchen und Frauen unterziehen sich nun kritischen Blicken in ihrem Spiegelbild. Einige Zeitschriften wie z. B. Cosmopolitan aber versuchten eine Ausnahme zu bilden. Sie förderten die weibliche Ambition, Individualität, die „Ich-kann-alles“ Haltung und die persönlichen und sexuellen Beziehungen. Doch auch diese Zeitschrift muss mit Widersprüchen ihr Geld verdienen. Dem Artikel „Schönheit kommt von Innen“ folgen auf den nächsten Seiten zahlreiche andere Artikel mit Bildern und Werbung für verschieden Diäten, „verjüngende“ Hautpflege und Schönheitsoperationen. Wolf weist in ihrem Buch auch auf die Rolle der Religion in diesem Schönheitswahn hin. „Das Recht des Mannes über die weibliche Schönheit zu urteilen, während man das Gleiche nicht mit seiner Schönheit tut, ist überhaupt nicht fragend, weil es als von Gott gegeben gesehen wird. Gottes Rolle und Autorität über die weibliche Schönheit haben nun seine Vertreter eingenommen: Organisatoren von Schönheitswettbewerben, Fotografen, sowie die Männer auf der Straße“, schreibt Wolf. Sie erklärt sich dieses Phänomen mit der Geschichte von Adam und Eva. Während Adam nach Gottes Bild, wurde Eva nur aus Adams Rippe geschaffen. Sie schreibt weiter: „Gott hat Adam Leben eingehaucht und seinen Körper göttlich gemacht; aber Evas Körper ist zweifach von der Hand Gottes entfernt, eine unvollkommene Materie geschaffen von einer Materie“. Frauen suchen nun bei Männern, die ja dem Allmächtigen ähneln, die Bestätigung, die sie von Gott selbst nie erhalten haben, und führen ihren Körper gemeinsam mit ihrer Schönheit als Objekt vor. Es genügt ein Blick auf die verschiedensten Bühnen – Catwalks, Titelseiten, Schönheitswettbewerbe, usw. „Frauen kümmern sich um ihre körperliche Perfektion auf eine Art und Weise, auf die es Männer fast nie tun, weil das Erste Buch der Mose ihnen mitteilt, dass alle Männer perfekt sind, während Frauen wie ein totes Stück Fleisch geschaffen worden sind“, so Wolf. Doch man soll nicht denken, dass Wolf eine Männerhasserin ist. Im Gegenteil sie zeigt auch Mitleid mit ihnen, den sie hat der Wahn auch in seinen Bann gezogen. Wegen der falschen Darstellungen von Frauen, die sie zu Gesicht bekommen, wissen Männer überhaupt nicht, wie eine wahre Frau aussieht. Sie haben falsche Erwartungen von weiblicher Schönheit und können nichts gegen diese tun, da sie mit dem wahren Bild wahrscheinlich nie konfrontiert werden. Wir wollten es aber nicht nur beim Wort eines Experten belassen und haben deswegen vier moderne, junge Frauen mit Fragen über Schönheit und ihrer eigenen Perzeption konfrontiert. Ihre Identitäten wollen sie geheim behalten. Zuerst wollten wir wissen, wie zufrieden sie mit ihrem eigenen Körper sind. Nur eine der vier Mädchen ist mit ihrem Körper einigermaßen zufrieden und gibt sich auf einer Skala von eins bis fünf, nur eine vier. Die anderen drei geben sich nur eine zwei oder drei. Wir können unser Staunen über diese Antworten kaum verstecken, denn vor uns stehen drei gesunde, bildhübsche Frauen. Auf die Frage, welche drei Begriffe sie mit Schönheit verbinden, antworten sie fast gleich: Ein perfektes Lächeln, Aura und Jugend. Doch am meisten erschreckt hat uns die Antwort auf die Frage, wie weit würden sie für einen perfekten Körper gehen. Alle vier würden Schönheitsoperationen über sich ergehen lassen, wenn ihre Makel, die dem nackten Augen überhaupt nicht sichtbar sind, dann endlich verschwinden. Eine, der vier Mädchen, hat sogar ihre Pläne für eine Brustvergrößerung mit uns geteilt: „Sobald ich das Geld zusammentreibe, mache ich mich auf dem Weg zum Schönheitschirurgen. Mir ist’s eigentlich egal zu welchem, Hauptsache es wird gemacht!“ Sie ist erst 21. Die perfekt aussehende Frau haben sie so beschrieben: Langes Haar, strahlender Teint, weiße Zähne, Katzenaugen, athletischer Körperbau und „sie muss noch etwas mysteriöses an sich haben.“ Uns geht nicht die Frage aus dem Kopf, ob nun alle Frauen schön sind oder nicht? „Natürlich sind wir es. Aber wir werden das nicht glauben wollen, bis wir den Schönheitsmythos endlich abgelegt haben“, antwortet Wolf. Sie will mit ihrem Buch nicht das kritisieren, was Frauen glücklich macht und besser fühlen lässt, sondern nur das, das sie dazu bringt, sich schlecht zu fühlen. „Das wahre Problem hat nichts damit zu tun, ob sich Frauen nun schminken oder nicht, ob sie schlank sind oder nicht, ob sie sich nun für eine Operation entscheiden oder nicht, ob sie sich schön einkleiden oder nicht, ob sie ihre Gesichter und Kleidung in Kunstwerke verwandeln oder nicht. Das wahre Problem ist unsere fehlende Freiheit zu wählen. Alles dreht sich nur darum, dass sich Frauen schlecht in ihrem eigenen Körper fühlen sollen“, so Wolf. Und was machen wir nun mit den Werbungen in den Schaufenstern, Zeitschriften und im Fernseher? Verschwinden werden sie wahrscheinlich nie, aber es genügt, wenn wir mit dieser neuen Erleuchtung über die wahren Hintergründe der Schönheit und einem Lächeln einfach weitergehen, weitersehen oder umblättern und die folgenden Generationen darüber aufklären. Man muss kein(e) Feminist(in) oder ähnliche Persönlichkeit sein, um eines Tages der eigenen Tochter klarzumachen, dass sie wunderschön und gesund ist, so wie sie ist.