Last Exit Gradište

Von Katarina Vidović

In Kroatien haben ungefähr 10 000 Fremde ihren ständigen Aufenthalt. Eine von ihnen ist die junge Deutsche Birgit Böhning, die in ihrer Heimat eine steile Karriere aufgab und in ein slawonisches Dorf namens Gradište zog. Hier leitet sie gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Branko ein Café, wo wir uns auch trafen.

Birgit, zuerst würde ich gern etwas mehr über Ihre Kindheit und Jugendzeit erfahren!Ich bin vor genau 29 Jahren in Libyen geboren. Mein Vater, der deutscher Abstammung ist, arbeitete als Monteur bei „Siemens“ und war ständig unterwegs. So kam es, dass er für ein ganzes Jahr nach Libyen musste. Es war genau um die Zeit, als meine Eltern geheiratet haben und die Mutter mit mir schwanger war. Sie wollte nicht alleine in Deutschland bleiben und zog mit meinem Vater weg. Dort blieben wir mehr als ein Jahr. Wir kamen erst nach Deutschland, als ich 6 Jahre alt geworden bin, denn ich musste in die Schule gehen und meine Eltern wollten, dass ich die Schule in Deutschland besuche. Wir wohnten in einem kleinen Dorf namens Pfalzgrafenweiler. Hier besuchte ich auch die Realschule und danach studierte ich Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Furtwangen University. Während meiner Studienzeit machte ich mein Praktikum bei mehreren Firmen, sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz und so sind meine Kenntnisse stetig gewachsen. Nachdem ich mit dem Studium fertig war, fand ich relativ schnell eine gut bezahlte Arbeitsstelle, aber nach ein paar Jahren entschloss ich mich zu kündigen und nach Kroatien zu gehen.


Ihre Mutter ist Kroatin. Hatten ihre kroatischen Wurzeln mit ihrer Entscheidung, hierher zu kommen, etwas zu tun? In Deutschland hatten sie ja eine gesicherte Zukunft.
Meine Schulferien verbrachte ich immer in
Gradište. Ich fand es hier schön, aber nicht so schön, dass ich mir vorstellen konnte, hier zu leben. Als ich aber älter wurde, begann ich hier auch auszugehen und lernte viele neue Menschen kennen, mit denen ich in Kontakt blieb und ich freute mich immer wieder sie zu sehen. Einige von ihnen besuchten mich sogar in Deutschland. Besonders guten Kontakt hatte ich mit Branko, in den ich mich nach einigen Jahren verliebte. Er war der Besitzer des Cafés in Gradište, wo ich mit meinen Freunden immer ausging, wenn ich nach Kroatien kam. Wir sahen uns nur während meiner Ferien. Nach 7 Jahren musste ich mich dann entscheiden, ob wir uns trennen oder ob ich vielleicht bereit wäre nach Kroatien zu kommen. Er wollte nicht nach Deutschland, denn er kannte die Sprache nicht und außerdem wollte er seinen Job hier nicht aufgeben. Ich entschloss mich dann, hierher zu ziehen und es einfach mit Branko zu versuchen. Ich wusste, dass ich jederzeit wieder nach Deutschland gehen konnte, falls es hier nicht klappt. Sodass der wahre Grund, weshalb ich nach Kroatien gezogen bin, Branko ist.


Hatten Sie Schwierigkeiten in Kroatien eine Arbeitsstelle in ihrer Branche zu finden?
Ja, und zwar sehr große. Am Anfang war es besonders schwierig einen Job zu finden, besonders weil mein Kroatisch nicht so blendend war. Außerdem
gab es zu diesem Zeitpunkt wenige attraktive Arbeitsstellen in meiner Branche und ich wollte unbedingt eine in meinem Fach finden, denn ich habe ja Informatik studiert und auf diesem Gebiet entstehen tagtäglich Neuheiten und ich wollte einfach auf dem Laufenden bleiben. Wenn man eine Zeit lang mit diesen Computerprogrammen nicht arbeitet, ist es nicht leicht wieder damit anzufangen. Außerdem gab es Stellen, wo ich keine Arbeit bekam, weil ich eine Frau bin. Einmal begann ich als Informatikerin in einem Computergeschäft zu arbeiten, doch von Anfang an hat man mich anders behandelt, nur weil ich eine Frau bin. Und alle erwarteten, dass ich schon nach einer Woche aufgeben werde. Das größte Problem war die Auszahlung meines Lohns. Ich wurde nicht regelmäßig bezahlt und mit der Zeit wurde es immer komplizierter. Trotz allen diesen Problemen zeigte ich, dass ich viel mehr weiß und kann als die meisten meiner Kollegen in diesem Geschäft. 8 Jahre blieb ich dort, aber als es mir einfach zu viel wurde und ich meinen Chef und die Arbeitskollegen dort nicht mehr aushalten konnte, kündigte ich. Mein Chef hat mich gebeten zurückzukommen, er versprach mir bessere Arbeitsbedingungen, einen höheren Lohn- alles Mögliche - aber ich lehnte ihn ab. Im Jahr 2009 haben dann Branko, mein Lebensgefährte, und ich ein neues Café in Gradište eröffnet. Das war ein ziemlich anstrengendes Projekt, mit dem wir uns längere Zeit beschäftigten. Mein Teil der Arbeit war, den Papierkram zu erledigen, während Branko alles, was mit Bauarbeiten zu tun hatte, erledigte. Ich brauchte viel Zeit, um meinen Teil der Arbeit zu erledigen, da solche Sachen in Kroatien sehr lange dauern. Heute leiten Branko und ich gemeinsam das Café, und außerdem arbeite ich bei der Firma „Siemens“ in Osijek als Informatikerin und bin sehr zufrieden mit meiner jetzigen beruflichen Situation. Ich bin eine Person, die es mag, viel um die Ohren zu haben. Die schlimmste Zeit hier in Kroatien war für mich die, als ich erfolglos nach einer Arbeitsstelle suchte. Es ist so weit gegangen, dass ich Branko gebeten habe als Kellnerin in seinem Café zu arbeiten, nur damit ich etwas zu tun habe. Ich habe viele Ideen und viele Projekte, die ich so gern verwirklichen würde, aber immer wieder taucht etwas auf, was meine Pläne stoppt. Man muss einfach Geduld haben und eines Tages wird es vielleicht auch klappen.


Was waren die größten Unterschiede, die Sie zwischen Kroatien und Deutschland feststellten und an die Sie sich gewöhnen mussten?
Da ich oft bei meinen Großeltern zu Besuch war, war ich schon mit dem Leben in Kroatien, besonders in Slawonien
, bekannt, sodass das keine große Veränderung für mich war. Trotzdem brauchte ich Zeit, um mich an diesen langsamen Rhythmus hier zu gewöhnen. In Deutschland herrscht immer totale Hektik. Die Menschen haben einfach keine Zeit für irgendwas und denken nur daran, was sie alles an diesem Tag erledigen müssen. Wenig Freizeit, die sie haben, nutzen sie, um ein bisschen mit ihrer Familie zu sein und haben keine Lust zu irgendwelchen Treffen mit Freunden oder solchen Sachen. In Slawonien dagegen ist das ganz anders. Die Menschen sind total entspannt, immer finden sie Zeit für alle- für Freunde, Familie und auch sich selbst. Sie sind sehr kontaktfreudig und gehen gern aus.

In Deutschland ist es fast nie der Fall, dass sie irgendwo ausgehen und dort Menschen finden, die gemeinsam tanzen, singen und den Abend einfach genießen. Vor genau einer Woche, als ich bei meinen Eltern in Deutschland zu Besuch war, ging ich mit meiner Schwester aus. Es war der Neujahrsabend und in dieser Disco, in die wir gingen, waren nicht mehr und nicht weniger als 10 Leute. In dem benachbarten Ort war es genau dieselbe Situation, sodass wir gegen Mitternacht schon zu Hause waren. Ich wünschte es mir so sehr in Gradište zu sein, denn ich wusste, dass hier sicher eine tolle Party abläuft. Das ist nur ein banales Beispiel für die Unterschiede zwischen Deutschland und Kroatien. Natürlich sind diese Unterschiede auch in anderen Bereichen sichtbar, besonders was die Infrastruktur betrifft. Doch auch hier gibt es in Kroatien etwas, was man in Deutschland noch nicht eingeführt hat. Die Parkgebühr kann man in Deutschland nicht per Handy zahlen, was ich interessant fand.


Wie haben ihre Familie und Freunde auf ihre Entscheidung, nach Kroatien zu gehen, reagiert?
Meine Mutter war nicht besonders davon begeistert, denn ich bin ihr ält
estes Kind und ich verließ als Erste das Elternhaus, sodass ihr meine Entscheidung ziemlich schwer gefallen ist. Der Vater dagegen unterstützte mich wo und wie er nur konnte, denn er wusste, dass ich das wirklich will. Alle meine Freunde freuten sich für mich. Natürlich gibt es auch solche, denen meine Entscheidung absurd war, weil ich eine gut bezahlte Arbeitsstelle hatte und plötzlich entschieden habe, das alles zu verlassen.


Sie leben mit ihrer Großmutter zusammen. Hatten sie Probleme sich aneinander zu gewöhnen? Es sind immerhin große kulturelle, aber auch Generationsunterschiede zwischen ihnen.
O, ja! Es funktionierte überhaupt nicht.
Meine Großmutter ist eine sehr eigensinnige Person und immer ist sie bereit, zu streiten. Egal was ich machte, das gefiel ihr nicht und sie wusste es immer besser. Sie hatte das Sagen im Haus. Seit Kurzem wohne ich mit Branko und seiner Familie zusammen, aber das ist nur eine vorübergehende Lösung. Wir versuchen gerade eine passende Wohnung für uns zwei zu finden


In Gradište haben Sie ein Café eröffnet. Haben Sie Schwierigkeiten sich auf dem hartumkämpften Gastronomiemarkt zu behaupten?
Natürlich spürt man die
Wirtschaftskrise, aber es geht schon. Vor 2 Jahren haben wir das Café eröffnet und es war gerade die Zeit, als die Rezession in Kroatien ihren Lauf genommen hat. Die Winterzeit ist immer schlechter, was das Geschäft angeht, aber für uns ist es am wichtigsten, dass wir alle Kosten decken und keine Verluste machen.


Was würden Sie als größte Herausforderung in Ihrer Tätigkeit in Kroatien bezeichnen?
An erster Stelle ist das die Administration. Obwohl ich in Kroatien schon längere Zeit lebe, weiß ich noch immer nicht
, wo ich was erledigen muss, bzw. welche Behörde für welche Angelegenheiten zuständig ist. Immer wieder muss ich jemanden um Hilfe bitten oder ihn bitten mit mir zu gehen, weil mein Kroatisch noch immer nicht so perfekt ist. Und das ist dann auch die zweite Herausforderung für mich. Meine Mutter hat mit mir und meinen Geschwistern immer auf Kroatisch gesprochen, denn für sie war es sehr wichtig, dass wir es lernen. Immer hat sie uns Fragen auf Kroatisch gestellt, aber wir haben ihr dann auf Deutsch geantwortet. Ich verstehe alles, wenn ich mit jemandem hier spreche, aber ich selbst beherrsche die Sprache noch nicht so gut. Doch ich besuche eine Privatschule, wo ich Kroatisch lerne und es wird immer besser.


Was gefällt Ihnen am meisten in Kroatien?
Am meisten
gefallen mir eigentlich die Mentalität und die Lebensweise der Kroaten. Die Menschen hier sind offenherzig, sehr gastfreundlich und angenehme Gesprächspartner. Und zweitens ist es das Wetter bzw. die warmen Sommer. Ich liebe diese Jahreszeit, und seitdem ich in Kroatien wohne, genieße ich sie voll und ganz. In Deutschland ist das Wetter, auch im Sommer, ziemlich schlecht. Es regnet sehr oft, sodass meine Freunde neidisch sind, wenn ich ihnen über das schöne Wetter hier berichte.


Wie ist der Kontakt zu Ihren Freunden in Deutschland? Haben Sie inzwischen auch Freunde in Kroatien gefunden?
Die meisten meiner Freunde in Deutschland sind weggezogen, denn sie lebten, wie ich, auf
dem Land, wo sie keine Arbeit finden konnten und so waren sie aus finanziellen Gründen gezwungen in große Städte zu ziehen. Wir sind weiterhin in Kontakt und hören uns regelmäßig, meistens per E-mail oder Facebook, aber wir sehen uns nicht so oft, vielleicht einmal im Jahr. Auch wenn ich nach Deutschland komme, ist es schwer, alle zu versammeln, da wir stundenlang voneinander entfernt wohnen. Gott sei Dank gibt es Internet!


Haben Sie je bereut, dass Sie sich auf diesen Schritt gewagt haben? Würden Sie es wieder tun?
Bereut habe ich es nie, aber ich weiß nicht, ob ich wieder das alles durchmachen würde. Ich weiß überhaupt nicht, ob ich für immer
in Kroatien bleiben will. Zurzeit gefällt mir mein Leben hier so, wie es ist. Falls mir das Ganze mit der Zeit langweilig und monoton wird, bin ich bereit auch irgendwo anders mein Glück zu suchen.